Impuls - Lebensberatung Ulrike Becker

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Impuls

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Neuanfang
 
Der Mann im Boot schüttelte den Kopf. Nicht einmal das brachte er noch zustande. Früher konnte er wenigstens noch Fische fangen – aber jetzt blieb sogar das Netz leer. Als wüssten selbst die Fische, was für eine Nullnummer er war.
Dabei war er doch immer der gewesen, der am lautesten getönt hatte. Er würde Jesus niemals verlassen. Selbst in den Tod würde er mit ihm gehen.
Er war sich so sicher gewesen in seiner Liebe zu Jesus, in seine Begeisterung für dessen neues Reich, in dem es gerecht zugehen sollte und jeder, auch die Schwächsten ihren Platz haben sollten. Ja, er hätte für dieses neue Reich alles gegeben. – Zumindest vor ein paar Tagen noch.
Aber nun war Jesus tot und er, Petrus, war wie ein feiger Hund davongeschlichen.
Ein einziger Zeigefinger einer schwachen Frau hatte ausgereicht und er war eingeknickt wie ein trockener Grashalm.
„Du bist doch auch einer von diesen Jesu-Leuten“, hatte sie gerufen. Und er hatte es nicht geschafft, zu seinem Rabbi zu stehen. Geleugnet hatte er es. Dreimal. Bis der Hahn krähte.
Der Hahn – das hatte ihm Jesus vorher schon gesagt. Dass er ihn verleugnen würde, noch ehe der Hahn kräht. Jesus hatte wohl immer schon gewusst, was für ein Versager er war.
Plötzlich erschallte mitten hinein in seine Gedanken eine Stimme: „Kinder, habt ihr ein paar Fische fürs Frühstück?“
Sein Blick wanderte über das Wasser. In der fahlen Dämmerung erkannte er am Ufer einen Mann, der ihnen im Schein einer Feuerstelle zuwinkte. Komischer Typ – sie so anzusprechen?! Aber dieses „Kinder!“ und dazu der Schein des Feuers – das alles wärmte irgendetwas im Herzen von Petrus. Auch wenn er nicht sagen konnte was es war.
Einer der anderen hatte dem Mann geantwortet, sie hätten keinen einzigen Fisch gefangen, worauf der ihnen nun zurief, dass Netz noch einmal auf der rechten Seite auszuwerfen.
‚Was soll’s‘, dachte Petrus. ‚Ein Fehlschlag mehr, darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.‘ Und irgendetwas schien dieser Mann am Ufer an sich zu haben, das sie alle wieder in Bewegung brachte. Zumindest packten auch die anderen schon zu, um das Netz noch einmal auszuwerfen.
Kaum geschehen, spürten sie schon den Zug. Das Netz wurde immer schwerer. Bald schon hörten sie das Klatschen der Fische an der Wasseroberfläche. Ihr Netz war zum Bersten voll und sie hatten Mühe, es unter Kontrolle zu bringen.
In dem Moment rief einer der anderen: „Das ist Jesus, unser Herr!“
Petrus schaute zu dem Mann ans Ufer. ‚Natürlich. Genau wie damals. Als er sie zu seinen Jüngern berufen hatte. Da war ihr Netz auch beinahe zerrissen.‘
Petrus ließ das Netz fahren, warf sich seine Kleider über und sprang ins Wasser.
Er konnte es kaum erwarten, bei Jesus zu sein. Er wollte ihm sagen, dass es ihm leid tat … dass er ihn nicht hatte verraten wollen … dass er auch nicht wusste, wie das passieren konnte … dass … ach, er würde gerne alles wiedergutmachen, aber ob Jesus ihn überhaupt anhören würde. Ihn, das Großmaul – den Versager.
Und dann stand er vor Jesus und brachte keinen Ton raus.
Jesus schaute ihn an – liebevoll wie immer – und sagte kein Wort.
Als die anderen mit dem Boot da waren, legten sie Fische aufs Feuer und kochten einen heißen Tee. Alle schwatzten erlöst vor sich hin und lachten. Als hätte jemand den Bann gebrochen, der in den letzten Tagen über ihnen gelegen hatte.
Nur Petrus konnte nicht recht mitlachen. Da war noch diese eine Sache. Die stand zwischen ihm und Jesus – zwischen ihm und dem Leben.
Als sie gegessen hatten, wurde es auf einmal still. Jesus schaute Petrus in die Augen und fragte: „Petrus hast du mich mehr lieb als all die anderen hier?“
Was sollte er nur antworten. Nein er wusste die Antwort nicht. Da waren sie wieder, die Bilder: von der Frau, von Jesus, den sie geschlagen und verspottet hatten, vom krähenden Hahn. Er wusste nichts mehr, schon gar nicht, ob seine Liebe stärker war als die der anderen. Aber eines spürte er: Diesen Mann, der ihn so liebevoll anblickte, wollte auch er lieben. Ja, er liebte ihn – obwohl er sich immer noch wie ein einziger Versager fühlte.
„Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“. „Dann weide meine Lämmer!“, antwortet Jesus.
Ausgerechnet die Lämmer will er mir anvertrauen. Die Schwächsten. Die, die am meisten Schutz bräuchten, die will er mir anvertrauen, obwohl ich noch nicht einmal zu ihm stehen konnte.
In seine Gedanken hinein fragte Jesus ihn erneut: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“
Jesus schien wohl auch an ihm zu zweifeln. Er wusste ja alle Dinge. Er musste auch wissen, wie feige er gewesen war. Wie sollte er so einem seine Herde anvertrauen. Hatte Jesus nicht gesagt, er sei der gute Hirte, der für seine Herde in den Tod ginge. Und er Petrus, der feige Verräter, sollte sie nun hüten. Nein, das konnte nicht gutgehen.
Trotzdem antwortete etwas in Petrus: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe.“
Und noch einmal wiederholte Jesus: „Dann weide meine Schafe!“
Petrus, blickte zu Boden. Wie sollte er Jesus nur erklären, dass er dieser Aufgabe niemals gerecht werden würde. Er schämte sich so sehr.
Dann hörte er Jesus zum dritten Mal fragen: „Hast du mich lieb.“
Nein, er, Simon, Sohn des Johannes, hatte in Jesu Augen wohl nicht genug Liebe. Das war sicher auch der Grund, warum er ihn nicht mehr Petrus, den Fels, nannte. Als Fels hatte Petrus gründlich versagt. Nun war er wieder nur noch Simon, der Fischer, der nicht einmal das auf die Reihe kriegte ohne Jesus.
Traurig und kleinlaut sagte er: „Herr, du weißt doch alle Dinge. Du weißt, dass ich dich liebhabe.“
Da antwortete Jesus noch ein drittes Mal: „Sorge für meine Schafe!“
In diesem Moment war es, als könnte er den Hahn krähen hören. Und mit einem Mal wurde ihm klar, warum Jesus ihm drei Mal diese Frage stellte: Es ging gar nicht darum, dass Jesus an ihm zweifelte. Es ging um den Hahn und darum, dass er, Petrus, Jesus drei Mal verleugnet hatte. Jesus wollte ihm helfen, seine Zweifel und sein Versagen hinter sich zu lassen. Er durfte wirklich neu anfangen. Er sollte wirklich der sein, dem Jesus seine kostbare Herde anvertrauen wollte.
Und als er nun aufschaute und ihre Blicke sich trafen, konnte Petrus sehen, wie sehr sein Herr ihn liebte und wie sehr er sich freute, dass seine Liebe im Herzen von Petrus angekommen war.

Kurzgeschichte von Ulrike Becker
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